Veröffentlicht am 05/2023

BGH zur Frage der Freiberuflichkeit

Ein Strafrechtsfall verschafft dem Bundesgerichtshof Gelegenheit, grundsätzlich zu entscheiden, wann Anwälte in einer Kanzlei selbstständig arbeiten und wann sie angestellt sind

Ein Strafrechtsfall verschafft dem Bundesgerichtshof Gelegenheit, grundsätzlich zu entscheiden, wann Anwälte in einer Kanzlei selbstständig arbeiten und wann sie angestellt sind (Urt. v. 8.03.2023, Az. 1 StR 188/22).

Die Vorinstanz, das LG Traunstein, 14.01.2022 – 6 KLs 280 Js 102098/16, stellte fest, dass den Sozialversicherungsträgern von Februar 2013 – Dezember 2017 in 189 Fällen insgesamt Beiträge in Höhe von rund 120.000 Euro vorenthalten wurden. Wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt wurde der Kanzleiinhaber zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 200 Euro verurteilt.

Folgender Sachverhalt lag zugrunde: 12 Rechtsanwälte waren in einer Kanzlei als freie Mitarbeiter tätig. Vereinbart wurde, dass diese als freie Mitarbeiter für die Kanzlei tätig werden, ihre Sozialabgaben selbst abführen, eigenes Personal beschäftigen und selbst werben durften. Sie erhielten Mandate, nutzen die Kanzleiinfrastruktur und bekamen ein festes Gehalt. In einer Zusatzvereinbarung wurde geregelt, dass eigene Mandate der Vertragspartner außerhalb der Kanzlei seiner Zustimmung bedurften.

Der BGH bestätigte nun die Einschätzung des Landgerichts, das die Tätigkeit der zwölf Anwälte als abhängige Beschäftigung einzustufen sei. Entscheidend sei das Gesamtbild der Arbeitsleistung und damit das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung. Wer Arbeitszeiten, Ort, Inhalt und Art der Tätigkeit nicht frei bestimmen kann und kein Unternehmerrisiko trägt, ist Arbeitnehmer. Dazu kommt, dass die Rechtsanwälte eine vom Kanzleigewinn unabhängige Vergütung erhalten.

Die Zusatzvereinbarung habe die freie Mitarbeit ausgehebelt.   Diese Entscheidung enthält keine grundsätzlich neuen Erwägungen zur Abgrenzung von Scheinselbstständigkeit zur Selbstständigkeit – vielmehr schließt sich der BGH der Rechtsprechung des BSG an.   Auch wenn dieser Fall Anwälte betrifft, so lassen sich die Urteilsgründe auf alle Bereiche übertragen. Daraus folgt: Es ist besondere Vorsicht geboten, wenn freie Mitarbeitende beschäftigt werden sollen. Das Risiko, dass im Nachhinein eine angestellte Tätigkeit festgestellt wird, ist groß. Und dann kann es nicht nur teuer werden, sondern auch strafrechtlich gefährlich.

Nachzulesen unter: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=133617&pos=0&anz=1 https://openjur.de/u/2469110.html